Der Leichenzug

Neuhaus im Erzgebirge

Erzählungen aus früherer Zeit

Eine kleine Erzählung aus unserem Ort Neuhaus aus der
früheren Zeit, so vor und merk 1930 herum, von alten und ganz
armen Leuten und wie diese leben mussten, da es ja damals ein
"soziales Netz" noch nicht gab.

Ich denke dabei an einen alten Bettelmann, der zu uns kam, genannt der
"Rören- Dotschen" und bei uns sein im Hausflur sein Vaterunser
betete für ein Stück Brot oder eine warme Suppe. In unseren
Häusern waren ja Türen tagsüber nie verschlossen, es gab
auch keine Glocke und jeder konnte hereinkommen, ohne dabei anzuklopfen.
Tat es wirklich jemand, so musste man, dass ein Fremder kommt.

Aus Sauersack kommt die "Saafen- Lori", eine junge Frau, die
sprachbehindert war und mit den Worten "Saaf, Saaf" ankündigte,
dass sie Seife zu verkaufen hatte. Das Herz des Erzgebirges war
barmherzig, sie wurde selten leer wieder fortgeschickt.

Ein alter Straßenmusikant ging von Haus zu Haus, spielte mit
seiner Geige und sang dazu. Meistens das Lied: "Im Grunewald, im
Grunewald ist Holzaktion...". Er versuchte mit allerlei
Späßen die Leute aufzuheitern und verstand es. Seine
Unterlippe dabei so weit hochzuschieben, bis sie über seine
Nasenspitze ging.

Aus Frühbuß kam die alte "Aschkarlmarie" mit ihrem
Buckelkorb voller Semmeln. Wenn man dabei bedenkt, wie sie dabei im
Winter durch den Schnee stampfte und unsere Häuser ja weit
verstreut an den Berghängen standen, so war es kein leichtes
Brotverdienen. Sie war sehr dick und wir fragten uns oft wieso das kam,
wahrscheinlich von den übriggebliebenen Semmeln, die sie daheim
dann selber eingebrockt essen musste.

Mit ihren Koffern auf dem Rücken kamen Hausierer und boten
Unterwäsche, Fußsocken, Wollmützen, bunte Pullover und
dergleichen an. Mit großen Augen standen wir Kinder dann um den
Tisch herum. Auf dem die Waren ausgebreitet lagen.

Als Korbflechter ging der "alte Markus". Er trug ein Bündel
Weidenruten umgehängt bei sich, meistens waren es nur gespaltene
Fichtenwurzeln, die er im Wald ausgrub und flocht damit neue Böden
in die Körbe ein.

Nicht zu vergessen die "Slowaken", die aus der Armut ihrer Heimat bis
in unser Erzgebirge hausierten und aus ihren umgehängten
Bauchladen ihre Waren, bestehend aus Bürsten, Kämmen,
Taschenmesser und dergleichen bis zur Mausefalle anboten. Ich habe den
Spruch nicht vergessen, den einer davon immer in seinem gebrochenen
Deutsch vorbrachte: "Leute gauft (kauft) Mausefalle, Mausefalle ist
besser als Gatz (Katz), Gatz scheißt sich in Gammer (Kammer)".

Ein Ortsname war die "alte Resl". Ein Leben lang fast war sie bei
Bauern im Egerland im Dienst. Als man sie nicht mehr brauchen konnte
wurde sie in ihr Heimatdorf abgeschoben. Sie wurde von der Gemeinde
aufgenommen, wo sie dann jede Woche jeweils in einem anderen Haus
Unterkunft und Verpflegung erhielt. So ging die Resl nun mit ihrem paar
Habseligkeiten in ihrem Buckelkorb jedes Wochenende weiter in ein
anderes Haus, immer schön den Hausnummern nach. War sie gut
aufgelegt, dann sang sie uns Kinder ihr Liedchen vor:
"Ach Fränzel du bist mir mein Leben, ach Fränzel ich bin dir
so gut...".

Ich glaube, dass es ihr dabei gar nicht so schlecht
erging, denn unsere Mütter wollten es sich nicht nachsagen lassen,
dass die Resl bei ihnen nicht richtig versorgt und verpflegt werde.

So denkt man halt manchmal gerne noch an die alte Zeit von damals
zurück.

Ernst Ullmann